Samstag, 3. Februar 2024

Ökonomische Einsichten 2024

  • Nach dem Abstimmungssieg bei der 13. AHV-Rente wird Ruf nach höherem Rentenalter laut. Dieses darf es aber nur geben bei Senken der allgemeinen Wochenarbietszeit - was ja trotz Produktivitätsgewinnen in letzten Jahrzehnten vergessen ging. So wie jetzt in Deutschland, wo Lokführer*innen für die 35-Stundenwoche streiken.
  • Neuerdings werden von Arbeitgeberseite Forderungen laut, die Teilzeitarbeit einzuschränken, um dem Fachkräftemangel vorzubeugen (neben Forderungen nach höherem Pensionierungsalter, mehr Zuwanderung, längerer Wochenarbeitszeit). Doch der Wunsch nach mehr Teilzeitarbeit und früherer Pensionierung sind die Reaktion des Arbeitsmarktes (der Nachfrager*innen nach Arbeit) auf ungenügende Arbeitsbedingungen und zu wenig Lohn. Aber das Spiel der Marktkräfte soll nach Meinung der Unternehmer*innen plötzlich nicht mehr gelten. Dabei wäre die ökonomische Theorie im Fall des Arbeitsmarkts doch klar, nur in der Praxis gilt diese wie so oft nur so lange, wie sie Arbeitgebern passt!
  • Zudem sind die Entwicklungen auch eine Antwort auf die Überproduktionskrise - die Leute wollen nicht mehr so viel arbeiten, um immer noch mehr zu konsumieren. Auch wenn der Überkonsum anhält in gewissen Kreisen, doch immer mehr verweigern sich mit Teilzeit, also mit weniger Lohn und Konsum.

Samstag, 11. März 2023

Ökonomische Einsichten 2023

  • Folge verweigerter Arbeitszeitreduktionen! Früher war es eigentlich eine Einsicht der klassischen Ökonomie - und ich meine damit wirklich die klassische Klassik! Im Zuge der Erhöhung der Produktivität sollten alle Produktionsfaktoren partizipieren - die Arbeit in Form von Lohnerhöhungen oder Verkürzung der Arbeitszeit - oder beides in einem Mix. Seit einigen Jahrzehnten und wohl vor allem im Zuge der Globalisierung und der offenen Märkte galt das plötzlich nicht mehr. Doch die Arbeit hat in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften ihren eigenen Weg gefunden - sie steht einfach nicht mehr uneingeschränkt zur Verfügung. Will heissen, es wird immer mehr Teilzeit gearbeitet - was jetzt wiederum von den klassischen konservativen Ökonomen aufs Heftigste kritisiert wird (Eichenberger). Ihren Ausdruck findet die Tendenz etwa in der steigenden Teilzeitarbeit von Männern in der Schweiz (früher unter zehn, heute annähernd 20 Prozent). Und im allgemeinen Wunsch der Deutschen, eigentlich nur noch um die 32 Stunden pro Woche zu arbeiten (früher 34) - siehe Zeit vom 11.3.23.
  • Anders gesagt und eine eigene Einsicht: Teilzeitarbeit ist Antwort auf die ausbleibende Verkürzung der Arbeit, die aufgrund der Produktivitätsgewinne seit Jahrzehnten angezeigt wäre! 

Donnerstag, 24. Februar 2022

Ökonomische Einsichten 2022

  • Im September 2022 erscheint das von mir sehnlichst erwartete Buch «Ende des Kapitalismus» von Ulrike Herrmann. Hinweis darauf erfolgte bei Lanz / ZDF am 26.5.22. Herrmann begründet gut verständlich den dem Kapitalismus innewohnenden Wachstumszwang (Streben nach Wettbewerbsvorteil führt zu ständiger Verbilligung - die aber wiederum zu mehr Verkauf (Rebound) führt). Mit Erneuerbaren Energien ist dem nicht beizukommen - auch wegen der von ihnen verbrauchten Rohstoffe.
  • Der Club of Rome hat 1972 Schreckensszenarien über die Zukunft der Menschheit veröffentlicht, die sich als Fehlprognosen erwiesen haben. Dahinter steckt besonders ein Versäumnis der Autoren: Sie hatten die Rolle von steigenden Preisen als Knappheitssignal völlig unterschätzt > aus der NZZ vom 2.3.22 (hinter Paywall). Oekonomedia meint: In anderen Belangen hatte der Bericht durchaus recht.
  • Deutsche Bundesregierung beschließt Mindestlohn von 12 €: Das wohl wichtigste Wahlkampfversprechen der SPD ist auf den Weg gebracht: Der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland soll im Herbst auf zwölf Euro pro Stunde steigen. Damit zeigt der 2015 eingeführte Mindestlohn endgültig seine Praxistauglichkeit - während die Ökonomengilde fast schon Jahrzehnte dagegen Stimmung machte > zeit.de 24.2.22.
  • xxx

Montag, 18. Oktober 2021

Ökonomische Einsichten 2021

  • US-Zukunftsforscher Tony Seba sagt in Tweet vom 30.11.21 voraus, dass in wesentlichen Bereichen der Konsumwelt die Preise radikal herunterkommen in den nächsten 10-15 Jahren - so für Information, Nahrung, Energie, Transport und Rohstoffe. Als Grund nennt Seba die rasant sinkenden Kosten für neue Technologien.
  • Das mit dem AHV-Alter ist relativ einfach: Solange es keine Arbeitszeitreduktionen (Wochenarbeitszeit) gibt, darf auch das AHV-Alter nicht erhöht werden (Lebensarbeitszeit). Denn das an sich berechtigte Anliegen bleibt als Ausgleich auf der Strecke, weil Produktivitätsfortschritte nicht weiter gegeben werden.
  • Die ökologische Kehrtwende darf nicht nur ökologisch sein, sie muss immer auch sozial sein - sonst verliert sie die Unterstützung der grossen Mehrheit.
  • Interessante und mögliche Folge der Corona-Krise: Während Kurzarbeit wurden sich offenbar viele Leute ihrer beschissenen Situation am Arbeitsplatz, insbesondere auch ihrer zu langen und zu unregelmässigen Arbeitszeiten bewusst - und wechselten den Job. Die Folge: Arbeitskräftemangel in vielen Branchen und richtigerweise steigende Löhne in eben diesen.

Samstag, 22. Mai 2021

Diese Frau hat eine Mission

Die streitbare und unterdessen sehr prominente Ökonomin Mariana Mazzucato hat den Weg zu einer neuen Wirtschaft beschrieben. Er soll von einer Mission beseelt sein, um erfolgreich zu verlaufen. Einiges bleibt allerdings auch nebulös.

Das Buch geschrieben hat Mariana Mazzucato «für alle, die das Ziel verfolgen, den öffentlichen Zweck und das Gemeinwohl ins Zentrum der Wertschöpfung zu rücken». Ganz offensichtlich aufgrund der vielen Krisen des Kapitalismus ist für die Autorin umgekehrt klar, dass unser Wirtschaftssystem eben von diesem Weg zum Gemeinwohl abgekommen ist. Da das Werk ganz druckfrisch ist, kann Mazzucato ihre Überlegungen mit der Rolle des Staats bei der Bewältigung der Corona-Virus-Krise illustrieren. Und gleich ein erstes erstaunliches Beispiel anführen zu eben dieser Rolle. 

Es ist Vietnam, das mit dem Virus offenbar erfolgreicher umgegangen ist als viele andere Nationen. Der Regierung gelang es dort praktisch über Nacht, trotz vergleichsweise schlechten Startbedingungen kostengünstige Testkits zu entwickeln, die in der Folge Vietnams erfolgreiche Bewältigung der Virenkrise ermöglichten (gemäss Johns Hopkins Universität bis Ende Mai 2021 nur rund 5000 Ansteckungen und 41 Todesfälle).  Das geschah dank der Mobilisierung für ein gemeinsames Ziel, welche Universitäten, Militär, Privatsektor und Bürgergesellschaft umfasste. Sie alle verfolgten eine Mission, dank der es gelang, mittels höherer Ausgaben der öffentlichen Hand die Investitionstätigkeit im privaten Sektor zu stimulieren. 

Als Beispiel für das Verfolgen einer Mission dient Mezzucato in der Folge aber in erster Linie das US-Raumfahrtprogramm, welches in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die unglaubliche Leistung erbrachte, Menschen auf den Mond (und wieder auf die Erde zurück) zu bringen. Und fast jedem / jeder dürfte einleuchten, dass die Verfolgung der nachhaltigen Entwicklungsziele der UNO die eine aktuelle  Mission der Gegenwart darstellt - die anderen sind die Bewältigung der Coronakrise einer-, der Klimakrise andererseits. In jedem dieser Krisenfälle gilt es sich zu fragen, welche Rolle der Staat in der Wirtschaft spielen sollte. Das ganze Anliegen wäre müssig, glaubte man nur an dessen untergeordnete Rolle. Nein! Mazzucato plädiert, wie sie das im Einzelfall früher schon getan hat, eben für eine aktive, voraus schauende, gestaltende Rolle von eben diesem - eben einer Mission. Sonst werde das gar rein nichts mit der Krisenbewältigung. 

Die im Buch umfassend beschriebenen Erkenntnisse aus der Raumfahrt in Ehren - hier sei nur diese eine zitiert: «Was wir heute dringend brauchen, ist ein missionsorientierter Ansatz - Partnerschaften zwischen öffentlichem und privatem Sektor zur Lösung sozialer Schlüsselprobleme.» Daraus lässt sich ableiten - und das unterscheidet Mazzucato in ihrer ganzen ökonomischen Forschung von einer rein linken Sicht - dass sie dem privaten Sektor eben auch eine wichtige Rolle zubilligt - beide Bereiche quasi auf eine Stufe stellt. Was auch nicht ganz neu ist, sich sowohl im ökonomischen wie im politischen  Diskurs bislang aber nicht durchgesetzt hat. Die neuartige Regelung der Beziehungen zwischen öffentlichem und privatem Sektor unter dem Aspekt des öffentlichen Zwecks zu überdenken, führt sodann zu neuem Wachstum (und Wohlstand, den die Autorin in diesem Moment aber  unerwähnt lässt). Und damit wären wir eben wieder bei dem Sachverhalt, der sich schlicht und ergreifend als Mission umschreiben lässt. Für weniger Begeisterung sorgen dürfte alsdann, dass Mazzucato den CEO des weltgrössten Vermögensverwalters Black Rock als neues Beispiel eines «missionarischen» Unternehmens anführt, weil dieser u.a. in seinem Jahresbrief an 500 CEO's schrieb, «ohne Sinn für den Zweck kann kein Unternehmen, ob öffentlich oder privat, sein volles Potenzial entfalten».

Unstrittig dürfte im übrigen der Befund von Mazzucato sein, dass der Kapitalismus schon vor der Coronakrise im Jahre 2020 festgefahren war. Die Krisen der letzten 30 Jahre und insbesondere die unbewältigte Klimakatastrophe einer- die wachsende Ungleichheit andererseits sind beredtes Zeugnis. Diesen Krisen gemein war stets die untergeordnete Rolle, die man dem Staat zuschrieb. Wohl kein Zufall, dass auch jetzt wieder vor der Abstimmung über das schweizerische CO2-Gesetz einer der Kritikpunkte ist, dass dem Staat eine zu grosse Rolle zugebilligt werde und das ja nicht gut gehen könne. Dabei hat er zweifellos zur Genüge bewiesen, dass er äusserst innovationsfördernd sein kann (das natürlich nicht immer ist - was ja auch für den Privatsektor gilt). 

Missionsorientierte Politiken auf der Erde (und eben nicht nur in der Raumfahrt) lassen sich fast unendlich viele finden (vielleicht ist genau das auch das Problem, dass es nicht geschieht, meint auf jeden Fall der Rezensent). Die schon erwähnten 17 UN-Nachhaltigkeitsziele gehören ewa dazu. Zur Auswahl schreibt Mazzucato dann, «eine Mission müsse kühn, inspiriert und von breiter gesellschaftspolitischer Relevanz» sein,  mit einer klaren Richtung, messbar und zeitgebunden. Und doch auch etwas beliebig. Im Hinblick auf die Mission der Etablierung einer «Solarwirtschaft» beziehungsweise der Energiewende, die dieser Blog seit nunmehr zwölf Jahren auch mitbetreibt, ist der Hinweis von Bedeutung, man müsse gefälligst Bürger*innen bei der Lösung der grossen gesellschaftlichen Herausforderungen mit einbeziehen. Wobei es dann auch noch gilt, diese aus der Abhängigkeit von der Kernenergie zu befreien.

So liesse sich das Buch auch als Streitschrift für dieses Gesetz respektive für einen starken Staat, der von einer Mission beseelt ist, lesen. Nur werden es die wenigstens gerade im Hinblick darauf zur Hand nehmen. Irgendwo im Text (S.29) schreibt Mazzucato dann noch, dieses Buch verstehe sich in erster Linie als Anleitung, wie wir Kapitalismus anders «machen» können. Ob wir das wirklich können angesichts der Systemzwänge dieses immer mächtigeren Wirtschaftssystems, bleibt zu beweisen. Hier liesse sich dann vielleicht der Wahlspruch von Barack Obama anfügen «yes we can». Ihm selbst gelang es eher weniger.

Mariana Mazzucato: Mission - Auf dem Weg zu einer neuen Wirtschaft, Campus Verlag, 2021, ca. 38 CHF

Rezensionen zu weiteren einschlägigen Büchern auf Solarmedia siehe > hier

Mittwoch, 12. Mai 2021

Von der Kunst der Veränderung

In seiner gegenwärtig vorherrschenden Form bedroht der Kapitalismus Mensch, Demokratie, Natur und Klima. Wie können Wirtschaft und Konsum sozial und verantwortungsbewusst gestaltet werden? Finanzexperte und Co-Autor der Mikrosteuer-Initiative Prof. Marc Chesney und Wirtschaftspublizist Dr. Wolfgang Kessler geben Impulse.

Samstag, 30. Mai 2020

Ökonomische Einsichten 2020

  • Genfer Arzt (Pittet oder so ähnlich) erfand die einfachste aller Arten, die Hände zu desinfizieren (eine Mischung aus Wasser, Glitzerin und Alkohol) - ein SRF-Bericht im Juli 2020. Statt die Methode zu patentieren, übertrug er die Nutzungsrechte der WHO, obwohl er viel Geld hätte verdienen können. Ein Beispiel von Altruismus, das die Mär vom homo oeconomicus einmal mehr widerlegt.
  • Um die Ausbeutung im internationalen Massstab zu beurteilen, genügt es, den Anteil der Produzentenlöhne am Endverkaufspreis von Produkten zu kennen und zu beurteilen. Und da dürfte beispielsweise schnell klar sein, dass ein Bauer hierzulande viel mehr an seinem Produkt verdient (zb Milchpreis 40-60 Rp. pro Liter, also 1/2 bis 1/3 des Preises im Laden) als jener in einem Land des Südens (für ein Paar Turnschuhe 2 CHF bei Verkaufspreis von 100 CHF).
  • Der Brexit ist insofern ein interessantes volkswirtschaftliches Experiment, da gemäss Premier Johnson eine höher qualifizierte Arbeiterschaft mit besseren Löhnen avisiert wird statt ein Heer von Billigarbeiter*innen.